Am Anfang war Erziehung

Gerald Hüther
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-nochmal, nOCHMal -guckst Du …

Zitat, Alice Miller, aus ihrem Buch Am Anfang war Erziehung ( https://www.alice-miller.com/de/am-anfang-war-erziehung-4/ ) aus dem Kapitel: JÜRGEN BARTSCH EIN LEBEN VOM ENDE HER WAHRGENOMMEN – Suhrkamp – Taschenbuch – Verlag, Seite 233 ff.:

>>> … (…) …

Statistische Untersuchungen sind wohl kaum dazu geeignet, uninteressierte Juristen in einfühlsame und hellhörige Menschen zu verwandeln. Und doch schreit jedes Verbrechen in der Art seiner Inszenierung nach Verständnis. Die Zeitungen berichten täglich von solchen Geschichten, von denen sie leider meistens nur den letzten Akt bringen. Kann das Wissen über die wirklichen Ursachen des Verbrechens eine Änderung im Strafvollzug herbeiführen? Nicht, solange es darum geht, schuldig zu sprechen und zu bestrafen. Es könnte aber einmal der Sinn dafür aufkommen, daß der Angeklagte niemals der einzig Schuldige ist, wie das im Falle Bartschs sehr deutlich zutage tritt, sondern ein Opfer von vielen tragischen Verkettungen. Auch dann ist die Gefängnisstrafe nicht zu umgehen, wenn die Öffentlichkeit beschützt werden muß. Aber es ist ein Unterschied, ob man nach dem Grundsatz der >SchwarzenPädagogik< einen bösen Verbrecher mit dem Gefängnis bestraft oder ob man die Tragödie eines Menschen wahrnimmt und ihm deshalb ermöglicht, im Gefängnis eine Psychotherapie zu machen. Ohne große finanzielle Belastung könnte man z. B. Gefangenen erlauben, in Gruppen zu malen oder zu bildhauern. Damit hätten sie eventuell die Chance, das ihnen verborgenste Stück ihrer frühesten Vergangenheit, die erlittene Mißhandlung und die Haßgefühle kreativ auszudrücken, wodurch sich das Bedürfnis, dies durch Handlungen in Szene zu setzen und brutal auszuleben, vermindern könnte.

Um für eine solche Haltung frei zu werden, muss man begriffen haben, daß mit der Schuldigsprechung eigentlich nichts geschehen ist. Wir sind so stark im Schema des Beschuldigens behaftet, daß wir große Mühe haben, etwas anderes zu begreifen. Deshalb werde ich manchmal so interpretiert, daß meiner Meinung nach an allem die Eltern >schuld seien<, und zugleich wird mir vorgeworfen, daß ich zu viel von Opfern spreche, zu leicht Eltern >exkulpiere< und dabei vergesse, daß doch jeder Mensch für seine Taten verantwortlich sein müsse. Auch diese Vorwürfe sind Symptome der >Schwarzen Pädagogik< und zeigen die Wirksamkeit der frühesten Beschuldigungen. Es muß sehr schwer sein, zu verstehen, daß man die Tragik eines Verfolgers oder Mörders sehen kann, ohne die Grausamkeit seines Verbrechens und seine Gefährlichkeit zu verkleinern. Wenn ich das eine oder andere in meiner Haltung aufgeben könnte, würde ich besser in das Schema der >Schwarzen Pädagogik< passen. Es ist aber gerade mein Anliegen, aus diesem Schema herauszukommen, indem ich mich auf das Informieren beschränke und auf das Moralisieren verzichte.

… (…) … <<< © 2014 Alice Miller

Aus dem Kapitel: „Aus heiterem Himmel“?, S. 237 ff.:

>>> Ich habe mit vielen Menschen gesprochen, die die Schwarze Pädagogik gelesen hatten und sehr davon beeindruckt waren, wie grausam Kinder >einst< erzogen worden waren. Sie hatten den Eindruck, daß die >Schwarze Pädagogik< endgültig der Vergangenheit angehöre, vielleicht nur noch der Kinderzeit ihrer Großeltern.

Ende der 60er Jahre fand in der Bundesrepublikk ein aufsehen erregenderer Prozeß eines so genannten >Triebverbrechers<, namens Jürgen Bartsch statt. Der 1946 geborene junge Mann hatte bereits im Alter von 16 – 20 Jahren Morde an Kindern begangen, deren Grausamkeit unbeschreiblich ist. In seinem 1972 erschienenen und leider vergriffenen Buch (Das Selbstporträt des Jürgen Bartsch) berichtet Paul Moor über folgende Tatsachen:

… (…) …

Wenn solche Taten an die Öffentlichkeit kommen, bewirken sie begreiflicherweise eine Welle von Empörung, Entrüstung, ja Entsetzen. Zugleich staunt man darüber, wie so eine Grausamkeit überhaupt möglich sei, und dies bei einem Jungen, der freundlich, sympathisch, intelligent und sensibel war und gar keine Züge eines bösen Verbrechers getragen hat. Dazu kam, daß seine ganze Vorgeschichte und Kindheit auf den ersten Blick auch nichts besonderes an Grausamkeit aufwies; er wuchs in einem geordneten bürgerlichen Haus auf, das wie viele andere war, in einer Familie mit vielen Steifftierchen, mit der man sich leicht identifizieren kann. Viele Leute konnten denken: >So anders ging es ja bei uns auch nicht zu, das ist doch ganz normal, da müßten ja alle Verbrecher werden, wenn die Kindheit daran beteiligt sein sollte.< Man konnte sich kaum etwas anderes vorstellen, als daß dieser Junge >abnormal< auf de Welt gekommen sei. Auch die neurologischen Gutachter haben immer wieder betont, daß Jürgen Bartsch nicht aus einem verwahrlosten Milieu, sondern aus einer gut für ihn in sorgenden Familie stammte, aus >wohlbehüteten Verhältnissen<, und deshalb allein die Verantwortung für seine Taten trage.

Es ergibt sich also wieder wie im Falle Adolf Hitler das Bild von harmlosen, anständigen Eltern, denen der liebe Gott oder der böse Teufel aus unverständlichen Gründen ein Ungeheuer in die Wiege gelegt hat. Aber die Ungeheuer werden nicht vom Himmel oder aus der Hölle in die frommen bürgerlichen Stuben geschickt. Kennt man einmal die Mechanismen der Identifikation mit dem Aggressor, die Abspaltung und Projektion und der Übertragung der eigenen Kindheitsgeschichte auf das Kind, die die Erziehung zur Verfolgung machen, dann kann man sich nicht mehr mit mittelalterlichen Erklärungen abfinden. Wenn man außerdem weiß, wie stark diese Mechanismen im Einzelnen wirksam sind, wie intensiv und zwanghaft sie ihn befallen können, erblickt man in jedem leben eines solchen >Ungeheuers< die logische Folge seiner Kindheit. Ich werde später versuchen, diesen Gedanken am Leben von Bartsch zu illustrieren.

… (…) …

Was sich aber ändern kann und wird, ist unser Wissen über die Folgen unseres Tuns. Es geht auch im Umweltschutz nicht mehr um Altruismus oder um >gutes Benehmen<, seitdem wir wissen, daß die Luft- und Gewässserverschmutzung eine Angelegenheit unseres eigenen Überlebens ist. Erst dann können Gesetze durchgesetzt werden, die einem hemmungslosen Verschmutzen der Umwelt Einhalt gebieten. Das hat mit Moralisieren nichts zu tun, es geht um Selbsterhaltung.

… (…) …

Es muß sich doch auch etwas im Verhalten der Eltern ändern, wenn sie erfahren, daß das, was sie bisher im guten Glauben als >notwendige Erziehung< praktiziert haben, im Grunde eine Geschichte von Erniedrigungen, Kränkungen und Mißhandlungen ist. Mehr noch, mit dem zunehmenden Verständnis der Öffentlichkeit für die Zusammenhänge von Verbrechen und frühkindlichen Erfahrungen bleibt es kein Geheimnis unter Fachleuten mehr, daß jedes Verbrechen eine verborgene Geschichte aufdeckt, die sich nun aus den einzelnen Details und Inszenierungen der Tat ablesen lässt. Je genauer wir diese Zusammenhänge studieren, um so mehr brechen wir die Schutzmauern auf, hinter denen bisher ungestraft zukünftige Verbrecher gezüchtet wurden. Die Quelle der späteren Racheakte ist der Umstand, daß der Erwachsene seinen Aggressionen beim Kind freien Lauf lassen kann, während die Gefühlsreaktionen des Kindes, die noch intensiver sind als beim Erwachsenen, mit aller Gewalt und mit stärksten Sanktionen unterdrückt werden.

Wenn man aus der analytischen Praxis weiß, mit welchen Staudämmen und Aggressionen und um welchen Preis an Gesundheit gut funktionierende und unauffällige Menschen leben müssen, dann könnte man denken, daß es jedesmal ein Glück ist, aber keine Selbstverständlichkeit war, wenn einer nicht zum Sexualverbrecher wurde. Es gibt zwar auch andere Möglichkeiten, mit diesen Staudämmen zu leben, wie eben die Psychose, die Sucht oder die perfekte Anpassung, die immerhin noch die Delegation der Staudämme auf das eigene Kind ermöglicht (wie im Beispielauf Seite 325f.), aber in der Vorgeschichte des Sexualverbrechens finden sich spezifische Faktoren, die tatsächlich viel häufiger vorkommen, als man gewöhnlich bereit ist, einzusehen. Sie tauchen auch in Analysen häufig in Form von Phantasien auf, die gerade nicht in die Tat umgesetzt werden müssen, weil das Erlebnis dieser Regungen ihre Integration und Reifung ermöglicht.

… (…) … <<< © 2014 Alice Miller

Aus dem Kapitel: „Was erzählt ein Mord über die Kindheit des Mörders?“, S. 249, Aussage Jürgen Bartsch:

„Meine Eltern hätten gar nicht erst heiraten sollen. Wenn zwei Menschen, die kaum Gefühe zeigen können, eine Familie gründen, so muß es meiner Ansicht nach irgend ein Unglück geben.“

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<<< Zitatende© 2014 Alice Miller – aus ihrem Buch Am Anfang war Erziehung ( https://www.alice-miller.com/de/am-anfang-war-erziehung-4/ ).

Ich kann hier NICHT das ganze Buch zitieren. DESWEGEN: kaufen und SELBER LESEN!

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Kindesmisshandlung, Kindesmissbrauch

Was ist damit gemeint?

Demütigungen, Schläge, Ohrfeigen, Betrug, sexuelle Ausbeutung, Spott, Vernachlässigung etc. sind Formen der Misshandlung, weil sie die Integrität und die Würde des Kindes verletzen, auch wenn die Folgen nicht sofort sichtbar sind. Erst als Erwachsener wird das einst misshandelte Kind beginnen, darunter zu leiden und andere darunter leiden zu lassen. Es handelt sich dabei nicht nur um ein Problem der Familie allein, sondern um ein Problem der ganzen Gesellschaft, denn die Opfer dieser Gewaltdynamik können sich – zu Henkern deformiert – an ganzen Nationen rächen, wie die unter schrecklichen Diktatoren wie Hitler so häufig üblichen Genozide zeigen. Die geschlagenen Kinder lernen sehr früh jene Gewalt, die sie als Erwachsene anwenden werden, indem sie glauben, dass sie die Bestrafungen verdienen und aus Liebe geschlagen werden. Sie wissen nicht, dass der einzige Grund für die Strafen, die sie erdulden müssen, die Tatsache ist, dass ihre Eltern selbst sehr früh Gewalt erlitten und erlernten, ohne sich dessen bewusst zu sein. Später leiden die einst misshandelten Kinder an Schuldgefühlen, schlagen – ohne es zu wollen – ihre eigenen Kinder, und bleiben lebenslang an ihre Eltern, die sie misshandelt haben, gebunden.

Gerade deshalb bleibt die Ignoranz der Gesellschaft so massiv und Eltern produzieren mit bestem Gewissen weiterhin in jeder Generation das schwere Leiden, das mit mehr Bewusstsein vermeidbar wäre. Fast alle kleinen Kinder werden in den ersten drei Lebensjahren geschlagen, wenn sie zu gehen beginnen und Gegenstände berühren, die nicht berührt werden dürfen. Das geschieht ausgerechnet in einer Zeit, in der das menschliche Gehirn seine Struktur aufbaut und daher von den Vorbildern Freundlichkeit und Liebe lernen sollte – jedoch niemals, niemals Grausamkeit und Lügen. Zum Glück bekommen manche misshandelte Kinder Liebe und Schutz bei den „helfenden Zeugen„. © 2014 Alice Miller ☛ https://alice-miller.com/index_de.php

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